Wer wird als nächster Papst von Rom?

Wer nächster Papst wird, bestimmt nicht nur die künftige Politik der römisch-katholischen Kirche, sondern auch einen bedeutenden Anteil an politischen Handlungen in der Welt.
Am 7. Mai beginnt in der Sixtinischen Kapelle das Konklave: eine Versammlung der Kardinäle hinter verschlossenen Türen, die über das Schicksal von 1,3 Milliarden Katholiken entscheidet. Nach dem Tod des Papstes Franziskus steht die katholische Kirche vor einer sehr schweren Entscheidung: den Weg der Reform weitergehen (durch Unterstützung der LGBTQ-Agenda, das Frauenpriestertum, usw.) oder zum konservativen Katholizismus, der auf christlichen Werten beruht, zurückzukehren.
Im vorherigen Artikel haben wir den Verlauf eines Konklaves behandelt und ein Portrait eines beispielhaften Papstes entworfen.
In diesem Beitrag beschreiben wir die wichtigsten Merkmale eines Kandidaten, die bei der Wahl des neuen Papst berücksichtigt werden müssen und nennen auch sechs Kandidaten, die unserer Meinung nach in den Korridoren des Vatikans am meisten herumgesprochen werden. Wir werden nicht nur ihre Biografien kurz wiedergeben, sondern auch über die Faktoren berichten, die die Wahl beeinflussen könnten.
Wie soll der neue Papst sein?
Einige Schlüsselfaktoren beeinflussen die Chancen der Kardinäle, zum neuen Papst gewählt zu werden. Diese stellen zusammen ein komplexes und vielschichtiges Entscheidungssystem innerhalb des Konklaves dar. Hier die wichtigsten:
1. Das Alter und der Status des Kandidaten. Theoretisch kann jeder katholische Mann zum Papst gewählt werden, aber in der Praxis werden sie aus den Reihen der Kardinäle gewählt, die nicht älter als 80 Jahre alt sind. Das Alter ist hierbei sehr wichtig: Der Kandidat darf weder zu jung noch zu alt sein, damit er einerseits genug Erfahrung und Autorität habe, andererseits damit zumindest eine gewisse Zeit regieren könne.
2. Erfahrung und Ruf. Kardinäle, die viel Erfahrung in der Verwaltung kirchlicher Institutionen, in der Diplomatie sowie in der römischen Kurie gesammelt haben, haben einen Vorteil. Des Weiteren ist ein einwandfreier, von Skandalen unbescholtener Ruf von äußerster Wichtigkeit.
3. Politisch-ideologische Ansichten. Man merke, dass der Vatikan nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Institution ist. Die Kardinäle werden daher unbedingt die politischen Ansichten des künftigen Kandidaten in Betracht ziehen. In dieser Hinsicht wird die Unterstützung wichtiger Fraktionen im Vatikan ausschlaggebend sein, darunter die konservative, die moderate und die reformistische Fraktion.
4. Nationalität. Obwohl es keine formalen Einschränkungen diesbezüglich gibt, werden traditionsgemäß italienische Päpste bzw. Päpste aus Europa gewählt. Allerdings wächst der Einfluss der Kardinäle aus Afrika, Asien und Lateinamerika, was auf eine allmähliche Abweichung der römisch-katholischen Kirche Richtung „globalen Südens“ deutet.
5. Einfluss und Unterstützung der römischen Kurie sowie der Kardinäle. Man behalte stets im Gedächtnis, dass ein Konklave kein Parlament mit klaren Fraktionen ist, sondern eher eine temporäre Versammlung ist, in der sich ständig neue Bündnisse, Vereinbarungen und Parteien bilden können. Es ist immerhin selbstverständlich, dass der Kandidat mit der Unterstützung der einflussreichsten Gruppen und Orden bessere Chancen hat.
6. Persönliche Eigenschaften. Während des Konklaves gibt es keine Debatten, wie es vor einer Präsidentschaftswahl üblich ist. Jedoch spielen dabei die persönlichen Eigenschaften der Kandidaten, wie etwa die Fähigkeit, keine voreiligen und überstürzten Aussagen von sich zu geben, diplomatisches Geschick sowie die Bereitschaft zum Dialog und zum Kompromiss, eine wichtige Rolle. Daher werden sich die Kardinäle sicherlich an alle „Fußtritte“ des zukünftigen Papstes erinnern, insbesondere an sein Verhalten in Krisenzeiten.
7. Eine Person, die der Mehrheit passt. Die Wahl eines neuen Papstes erfolgt meistens durch die Suche nach einem Kompromisskandidaten. Manchmal gewinnen nicht die stärksten Anführer, sondern diejenige, die die Forderungen der verschiedenen Fraktionen erfüllen können.
8. Der Einfluss weltlicher Staaten. Obwohl das Konklave offiziell selbständig wählt, üben große Staaten und einflussreiche Politiker inoffiziell ihre Interessen, die bestimmte Kandidaten bevorzugen, einen großen Einfluss auf sie aus. Beispielsweise könnten den Kardinälen gute Beziehungen zu China oder den USA wichtig sein.
Die Möglichkeiten eines Kardinals beruhen also auf einer Zusammenwirkung von Alter, Erfahrung, politischer Haltung, nationaler Herkunft, Unterstützung der römischen Kurie, persönlicher Eigenschaften sowie der Fähigkeit, ein kompromissbereites Oberhaupt zu sein, der in der Lage ist, die verschiedenen Fraktionen zufriedenzustellen.
Wer könnte der nächste Papst werden?
Wir machen sie auf die sechs Kandidaten aufmerksam, die unserer Meinung nach die wichtigsten Anwärter auf den päpstlichen Thron sind.
1.Pietro Parolin: der „Premierminister“ des Vatikans.

Der 70-jährige italienische Kardinal bekleidet seit zehn Jahren das Amt des Außenministers des Heiligen Stuhls, das zweitwichtigste Amt nach dem Papst. Zieht man Parallelen zu weltlichen Behörden, war Parolin ein Jahrzehnt lang „Premierminister“, und das unter drei Päpsten. Sein Hauptvorteil ist seine ohnegleiche Erfahrung in der internationalen Diplomatie des Vatikans. Er war derjenige, der unmittelbar nach dem Maidan in der Ukraine auftauchte und er war an äußerst wichtigen Verhandlungen mit China beteiligt.
Seine Stärken: die Unterstützung der römischen Kurie (der vatikanischen Bürokratie) und der Administratoren unter den Kardinälen; die Fähigkeit, Kompromisse zwischen Konservativen und Reformatoren zu finden; seine Kenntnisse der inneren „Küche“ des Vatikans, wo er 40 Jahre lang gearbeitet hat.
Schwächen hat er viele. Zwar wird Parolin von vielen als „Mann des Systems“ wahrgenommen, was denjenigen, die Reform wollen, sehr gefällt. Er hat des Weiteren kein Charisma: seine Predigten sind die trockenen Reden eines Beamten, nicht aber eines feurigen Redners. Zudem gehen in der Kurie Gerüchte um, dass einige Kardinäle seinen übertriebenen Pragmatismus in den Beziehungen zu mächtigen Ländern fürchten (China hat unter ihm die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Ernennung von Bischöfen in seinem Land zu nehmen).
Aus diesen Gründen schätzen wir die Chancen Perolins auf 35-40%.
2.Luis Antonio Tagle

Luis Antonio Tagle. Foto: wiadomosci.radiozet
Der 67-jährige philippinische Kardinal ist Haupt der Kongregation für die Verbreitung des Glaubens, die für die Missionstätigkeit verantwortlich ist. Repräsentiert Perolin die ältere Generation, ist Tagle das Gesicht des „globalen Südens“. Geboren in Manila, spricht er fließend sechs Sprachen und kritisiert den „Eurozentrismus" der römisch-katholischen Kirche regelmäßig und fordert mehr Aufmerksamkeit auf andere Gebiete der Welt.
Die Stärken Tagles liegen darin, dass er Symbol für die Verlagerung des Zentrums des Katholizismus nach Asien und Afrika symbolisiert, wo rund 60% aller Katholiken beheimatet sind. Er ist auch für seine persönliche Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit bekannt aufgrund seines nicht im erzbischöflichen Palais Residierens. Er lebt stattdessen in einer kleinen Wohnung. Außerdem sind seine Ansichten denen des verstorbenen Papstes Franziskus am ähnlichsten, gleichzeitig ist er aber mit radikalen Aussagen vorsichtig.
Zu seinen Schwächen zählen der Mangel Tagles an Erfahrung in der Verwaltung großer europäischer Diözesen. Außerdem wird ihm vorgeworfen, er sei nicht in der Lage, harte Entscheidungen zu treffen und er sei „weich“. Insbesondere erwähnen diejenigen, die ihn nicht mögen, oft seine versäumte (oder vielmehr seine ausgebliebene) Reaktion auf den australischen Pädophilieskandal von 2018.
Seine Wahl wäre auf jeden Fall eine Sensation, da der letzte nichteuropäische Papst, Gregor III., im 8. Jhd. amtierte.
Seine Chancen schätzen wir auf 35%.
3. Péter Erdő

Der 72-jährige ungarische Kandidat, Erzbischof von Budapest, ist die größte Hoffnung der Traditionalisten. Als anerkannter Fachmann im Kirchenrecht hat er sich wiederholt gegen die homosexuelle Ehe und das Frauenpriestertums ausgesprochen. Zudem kritisierte er 2015 die Migrationspolitik des Papstes Franziskus und erklärte, dass „die Kirche den kulturellen Selbstmord Europas nicht fördern darf“.
Die Stärken Erdős liegen an der ziemlich starken Unterstützung westeuropäischen und amerikanischen Kardinälen, an seine klare und für alle verständliche Position, die er ohne Umgehung, Zweideutigkeit und Liberalismus vertritt, und außerdem seine Erfahrung als Vorsitzender des Rates der europäischen Bischofskonferenzen von 2005 bis 2011.
Zu seinen Schwächen zählt sein allzu rigider Führungsstil, der 2019 zu einer Rücktrittsforderung 40 ungarischer Priester führte. Auch in den Medien steht Erdő in einem eher negativen Licht: Er wird als „rücksichtlich“ bezeichnet.
Daher schätzen wir seine Wahlchancen auf 10%.
Jean-Marc Aveline

Der 65-jährigen Erzbischof von Marseille wird „Meister der Kompromisse“ genannt (nicht umsonst ist er Franzose) und ist als Mann, der es geschafft hat, das Vertrauen sowohl der Liberalen, da er den Dialog mit den Muslimen unterstützt, als auch der Konservativen, da er die Sterbehilfe aufs Schärfste verurteilt, zu gewinnen.
Zu Avelines Stärken zählt seine Fähigkeit, gegnerische Lager zu vereinen. Er erfreut sich zudem großer Beliebtheit im französischsprachigen Afrika, das der Vatikan als Schlüsselregion für das Wachstum der römisch-katholischen Kirche betrachtet. Er ist zudem in der Lage, bestimmte Reformen umzusetzen, die viele Kardinäle ansprechen (beispielsweise schlägt er eine Reform des Systems für die Ernennung von Bischöfen vor).
Schwächen gibt es aber offensichtlich mehr als Stärken. Zum einen erhielt Aveline den Kardinalshut erst 2022 und er hat auch kaum Verbindungen zu Lateinamerika (dessen Bedeutung für die römisch-katholische Kirche nicht weiter erläutert werden muss; sie ist bereits klar).
Seine Chancen sind also äußerst gering – sie liegen bei etwa 5 Prozent. Vatikan-Insider halten ihn jedoch für die wichtigste „Ersatzoption“ im Falle einer Pattsituation bei der Abstimmung.
5. Pierbattista Pizzaballa

Pizzaballa ist 60 Jahre alt. Er ist Italiener (was ideal ist) und Franziskaner. Seit 2021 ist er römisch-katholischer „Patriarch“ von Jerusalem. Pizzaballa gilt als Experte für zwischenreligiösen Dialog, da er 20 Jahre in Israel verbrachte, wo er Kontakte zu jüdischen und muslimischen Gemeinden knüpfte.
Dementsprechend zählen zu seinen Stärken seine einzigartige Erfahrung in der Arbeit an „Brennpunkten“ – vom Gazastreifen bis in den Libanon, sowie die ständige Unterstützung von Missionsorden und Priestern, die an den schwierigsten bzw. gefährlichsten Orten tätig sind. Außerdem reist Pizzaballa immer noch mit dem Fahrrad.
Hinsichtlich der Schwächen wird Pizzaballa als „begrenzter Spezialist“ ohne Erfahrung in der Leitung seriöser und großer Strukturen wahrgenommen. Darüber hinaus kann er nicht als öffentliche oder mediale Persönlichkeit bezeichnet werden (ihm folgen „nur“ 50.000 auf Twitter im Vergleich zu den 20 Millionen im Falle Tagles).
Sollte es Pizzaballa dennoch gelingen, sich vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten als „Kandidat für den Frieden“ zu präsentieren, schätzen wir seine Chancen auf 10 %.
6. Peter Kodwo Appiah Kardinal Turkson

Der 76-jährige ghanaische Prälat gilt als einer der vielversprechendsten Kandidaten für das Papstamt im bevorstehenden Konklave. Er war Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden von 2009 bis 2017 und Präfekt des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen von 2017 bis 2021. Derzeit ist er Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften.
Zu Turksons Stärken zählt Afrika, wo 20 % der weltweit 1,4 Milliarden Katholiken leben. Gleichzeitig engagiert sich Turkson aktiv in Umwelt- und Armutsfragen, und seine Ansichten stehen denen von Papst Franziskus nahe. Darüber hinaus hat er sich im interreligiösen Dialog bewährt, gilt als guter Verwalter und kann mit seinen Englisch-, Französisch-, Italienisch-, Deutsch-, Hebräisch-, Latein- und Griechischkenntnissen als ein Papst gelten, der auf internationaler Ebene verhandlungsfähig ist.
Zu Turksons Schwächen zählt sein Alter von 76 Jahren (obwohl Papst Franziskus bei seiner Wahl im selben Alter war). Turkson galt bereits 2013 als Favorit, verlor jedoch die Wahl gegen den verstorbenen Franziskus. Unter den europäischen Kardinälen genießt er keine große Unterstützung.
Daher liegen Turksons Chancen unserer Meinung nach bei 15 bis 20 %.
Was wird den Ausgang der Wahl bestimmen?
Es ist sehr schwer zu erraten, wer Papst wird. In den letzten drei Konklaven konnte niemand den Papst benennen, bevor die Wahlergebnisse bekannt gegeben wurden. Das wird auch uns nicht gelingen.
Zugleich werden unserer Meinung nach der Kampf zwischen Europa und dem „globalen Süden“, die Haltung gegenüber LGBT und des Frauenpriestertums sowie der Druck der USA, Chinas und der Europäischen Union für den Wahlverlauf entscheidend sein.
In dieser Hinsicht hat Pietro Parolin die besten Chancen, aber Tagle und Turkson sitzen ihm im Nacken und könnten durchaus gewinnen. Um den Film „Conclave“, dessen Premiere 2024 erfolgte, in Erinnerung zu rufen, kann nicht nur Pizzaballa oder Aveline, sondern auch eine Person, deren Vor- und Nachname heute nur wenigen Menschen bekannt ist, Papst werden.
Eines ist klar: Dieses Konklave wird einen Wendepunkt für die römisch-katholische Kirche darstellen. Es geht nämlich nicht um die Wahl zwischen Parolin und Tagle, sondern darum, ob der Vatikan weiterhin das „alte“ Europa repräsentieren wird oder ob aus seinen „Aschen“ eine völlig neue Kirche des „globalen Südens“ entstehen wird.