Gott in der Warteschlange: Über die versteckte Herrlichkeit Christi Geburt auf Bruegels Gemälde
Über das kälteste und ehrlichste Gemälde über Weihnachten, das uns lehrt, Hoffnung inmitten von Bürokratie, Krieg und Winter zu sehen.
Wir sind daran gewöhnt, dass Weihnachten in Gemälden immer Gemütlichkeit bedeutet. Goldenes Stroh, warmes Licht vom Kind, kniende Hirten und Engel, die „Ehre sei Gott in der Höhe“ singen (Lk 2,14). Das ist schön. Das wärmt. Aber manchmal, besonders jetzt, wo draußen ein unruhiger Winter herrscht und es im Herzen kalt ist, scheinen solche Postkartenbilder zu weit entfernt.
Wir brauchen eine andere Wahrheit. Und die hat Peter Bruegel der Ältere vor fünfhundert Jahren geschrieben.
Wenn man vor seinem Gemälde „Die Volkszählung in Bethlehem“ stehen bleibt, ist das Erste, was man auf der Haut spürt, Kälte.
Hier gibt es keine „festliche Stimmung“. Hier herrscht der feuchte, durchdringende flämische Winter des Jahres 1566. Die rote untergehende Sonne blickt schwer auf das verschneite Dorf herab. Sie wärmt nicht. Sie hängt wie eine glühende Münze am Himmel und dringt kaum durch den frostigen Dunst.
Die Äste der Bäume sind schwarz, kahl und sehen aus wie Risse in altem Putz. Das Eis auf dem Fluss ist grünlich-grau und von Hunderten von Füßen zertreten.
Diese Kälte ist uns sehr vertraut. Es ist die Kälte einer ungemütlichen Welt, in der der kleine Mensch immer friert. Bruegel beschönigt die Realität nicht. Er zeigt das Leben, wie es ist: hart, schmutzig und unendlich müde.
Bürokratie statt Wunder
Wir sehen Hektik. Dutzende Menschen drängen sich vor dem großen Haus auf der linken Seite. Aber es ist kein Fest. Es ist eine Warteschlange.
Kaiser Augustus hat eine Volkszählung angeordnet. Jede Familie muss in die Stadt ihrer Vorfahren zurückkehren, um Steuern zu zahlen. Und nun haben diese Menschen ihre Arbeit liegen lassen und sind durch Frost und Schlamm hierher gekommen, um dem Staat ihr Geld zu geben.
Vor uns liegt die totale Macht der Bürokratie. Am Tisch sitzt ein Beamter mit Pelzmütze und schreibt in ein dickes Buch. Für ihn sind die Menschen nur Zahlen, Zeilen in einem Bericht, Steuereinheiten.
Um ihn herum herrscht ein hartes Leben. Jemand schlachtet ein Schwein, um sich mit Fleisch zu versorgen. Jemand schleppt einen Bündel Reisig herbei. Kinder tummeln sich unter den Füßen und verheddern sich in den Kleidern der Erwachsenen.
Wenn man genau hinsieht, fällt ein beängstigendes Detail auf: An der Hauswand und in der Menge stehen Soldaten mit Speeren. Für Bruegels Zeitgenossen war dies eine schreckliche Andeutung. Der Künstler malte das Bild zu einer Zeit, als seine Heimat, die Niederlande, unter spanischer Besatzung litt. Diese Soldaten sind ein Symbol für rohe Gewalt.
Die Welt auf dem Bild lebt in Angst und Anspannung. Alle sind damit beschäftigt, zu überleben.
Alle beeilen sich, sich in die Liste einzutragen, damit man sie in Ruhe lässt. Jeder von uns kennt dieses Gefühl der Ohnmacht in einer langen Schlange vor dem Amt, dieses Gefühl, dass man angesichts der riesigen Staatsmaschinerie ein Niemand ist.
Gott inkognito
Das Gemälde heißt „Die Volkszählung in Bethlehem”. Aber wir betrachten es und verstehen nicht: Wo eigentlich ist Bethlehem? Wo ist Maria? Wo ist Josef?
Vor uns liegt ein gewöhnliches flämisches Dorf. Hunderte von Figuren, die mit sich selbst beschäftigt sind. Wir suchen mit unseren Augen nach dem gewohnten Mittelpunkt der Komposition – dem Strahlen, den Heiligenscheinen, der Begeisterung. Aber es gibt ihn nicht.
Und hier macht Bruegel seinen genialen Schachzug. Er zwingt uns, intensiv nach Gott zu suchen.
Im Zentrum des Bildes, aber für das Auge überraschend unauffällig, bewegt sich ein Paar. Eine Frau in einem blauen Umhang, dicht gegen den Wind eingemummt, sitzt auf einem Esel. Ein Mann führt ihn an den Zügeln. Er ist gebeugt, auf seiner Schulter liegt eine große Tischlersäge, und neben ihm schlurft ein Ochse.
Das ist die Heilige Familie. Aber niemand schenkt ihnen Beachtung. Absolut niemand.
Für die Menschenmenge um sie herum sind sie nur weitere Migranten. Weitere „Zugezogene”, die irgendwo übernachten müssen. Josef sieht todmüde aus. Er weiß nicht, wo sie heute schlafen werden. Maria friert wahrscheinlich, sie wird bald gebären, aber niemand macht ihr Platz. Die Tischlersäge auf Josefs Schulter ist kein Symbol, sondern sein Werkzeug, sein Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Die blaue Farbe der Stille
Brügels Umgang mit Farben ist hier erstaunlich. Das gesamte Bild ist in ockerfarbenen, rötlichen und braunen Tönen gehalten – das sind die Farben von Lehm, altem Holz und schmutzigem Schnee. Die Farben der Erde.
Nur in der Mitte leuchtet ein Fleck in reinem, tiefem Blau – Marias Umhang.
Dieses Blau wirkt inmitten dieses roten Trubels wie ein Fremdkörper. Es ist kalt, aber gleichzeitig seltsam anziehend. Es scheint, als würde das gesamte Chaos des Bildes – die Rufe der Händler, das Bellen der Hunde, das Knarren der Karren – genau an dieser Stelle verstummen. Das Licht fällt hier nicht in Strahlen vom Himmel. Es geht von dieser Stille aus. Aus der Art, wie Josef den Esel behutsam führt. Aus der Art, wie Maria ihr Gesicht vor dem Wind verbirgt.
Licht aus der Warteschlange
In dieser Stille von Bruegel liegt der größte Trost für uns. Der Künstler sagt uns: Das wichtigste Ereignis in der Geschichte des Universums hat sich genau so zugetragen. Ohne Fanfaren. Ohne rote Teppiche.
Gott kam durch die Hintertür in die Welt. Er kam nicht in den Palast des Kaisers, der diese Volkszählung angeordnet hatte. Er stellte sich in die Schlange. Er wurde einer von denen, die gezählt, besteuert und mit den Ellbogen geschubst werden. Er verschwand in der Menge der müden Menschen.
Wenn wir „Die Volkszählung” betrachten, hören wir auf, von Gott Spezialeffekte zu erwarten. Wir verstehen, dass Er anders wirkt. Er tritt in unsere Kälte, in unsere alltägliche Unordnung, in unsere Ängste und Probleme mit Dokumenten ein und beleuchtet sie von innen heraus.
Wenn Sie sich gerade klein, müde und von niemandem gebraucht fühlen in der riesigen Schlange der Geschichte – haben Sie keine Angst. Schauen Sie sich das Gemälde von Bruegel an.
Christus ist nicht irgendwo dort oben, in unerreichbaren Himmeln oder goldenen Hallen. Er ist hier. In einem blauen Mantel, inmitten von Schnee und Bürokratie. Er steht mit uns in dieser Schlange. Das bedeutet, dass wir nicht allein sind.