Orthodoxe Christen für Palästina: Ein Interview mit Joseph Galiano

Orthodoxe Christen für Palästina: Ein Interview mit Joseph Galiano

Galiano: „Zusätzlich zur Tötung von bereits drei Prozent der christlichen Bevölkerung seit Kriegsbeginn deuten diese Handlungen des israelischen Militärs auf einen absichtlichen Versuch, die palästinensisch-christliche Identität in Gaza auszulöschen durch das erzwungene Verlassen einer historischen Kirche, ohne Versprechen auf eine Wiederkehr zu geben.“

Was ist die aktuelle Lage der Christen Gazas?

Stand vom September 2025 ist, dass das israelische Militär alle Bürger in Gaza City dazu aufgefordert haben, die Stadt zu verlassen, einschließlich der Pfarrmitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche zum Hl. Porphyrios. Um die Schmach noch zu verstärken, sagte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz, dass „Gaza City ... zu Rafah und Beit Hanoun wird“, wobei er sich auf zwei Städte bezog, die zuvor in einer israelischen Militäraktion zerstört wurden. Dies betrifft natürlich direkt sowohl die Pfarre St. Porphyrios, die die drittälteste Kirche in der Welt ist, als auch die Bürger aller Religionen (Senioren, Frauen, Kinder), die in der Kirche seit Kriegsbeginn Zuflucht gesucht haben.

Der Griechisch-Orthodoxe Patriarch Jerusalems, Theophilos III., und sein lateinischer Kollege, Pierbattista Kardinal Pizzaballa, haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, um weltweites Aufsehen um dieser Sache zu erregen, und um die erzwungenen Versetzungen von Bürgern zu verurteilen. Zusätzlich zur Tötung von bereits drei Prozent der christlichen Bevölkerung seit Kriegsbeginn deuten diese Handlungen des israelischen Militärs auf einen absichtlichen Versuch, die palästinensisch-christliche Identität in Gaza auszulöschen durch das erzwungene Verlassen einer historischen Kirche, ohne Versprechen auf eine Wiederkehr zu geben.

Trotz dieser Abschreckungsmaßnahmen, weigern sich tapfer viele Christen in Gaza, das Gebiet zu verlassen. Manche glauben, Evakuierung sei ein Todesurteil. So schreiben Theophilos und Pizzaballa in ihrer Erklärung:

Seit Kriegsausbruch ist das griechisch-orthodoxe Gelände zum Hl. Porphyrios und zur Hl. Familie ein Zufluchtsort für hunderte von Zivilisten. Unter ihnen sind Senioren, Frauen und Kinder. Auf dem lateinischen Gelände beherbergen wir seit vielen Jahren Menschen mit Behinderung, die unter der Fürsorge der Missionarinnen der Nächstenliebe stehen. Wie andere Bewohner der Stadt Gaza, werden die Flüchtlinge, die in den Einrichtungen leben, sich ihrem Gewissen entsprechend entscheiden müssen, was sie als Nächstes tun werden. Unter denen, die innerhalb der Mauern der Geländer Zuflucht gesucht haben sind viele geschwächt und unterernährt wegen der Schwierigkeiten der letzten Monate. Gaza City zu verlassen und sich auf die Flucht in den Süden zu machen würde nichts weniger sein als ein Todesurteil. Aus diesem Grund haben sich Klerus und Nonnen beschlossen, zu bleiben und sich weiterhin um all jene zu kümern, die auf den Geländern sich aufhalten werden.

Es ist von äußerster Wichtigkeit, Aufmerksamkeit auf das Leid der palästinensischen Christen zu schärfen, weltweite Unterstützung zu bekommen und das Narrativ des christlichen Zionismus zu entkräftigen, welches behauptet, Israel beschütze Minderheiten, während in Wirklichkeit es Verbrechen begeht.

Erzählen Sie uns über Ihre Organisation, Orthodoxe Christen für Palästina.

Orthodoxe Christen für Palästina (OCP) ist eine humanitäre Bewegung, die von Mitgliedern mehrerer orthodoxen Ortskirchen gegründet wurde. Wir glauben, dass die Orthodoxe Kirche eine entscheidende Rolle in der Herstellung eines echten Friedens spielen kann und dass unsere Gemeinschaft nicht weiterhin angesichts des Leidens sowohl orthodoxer Christen in Palästina als auch der Menschen anderer Glaubensrichtungen schweigen kann bzw. sie ignorieren kann. Genauer gesagt konzentrieren wir uns auf Maßnahmen wie die Zusammenarbeit mit Bischöfen und Priestern, auf dass sie Palästina oder Gaza während dem Großen Einzug in der Göttlichen Liturgie erwähnen, Spendensammlungen für humanitäre Bedürfnisse, Unterstützung für palästinensische Kinder, die in die USA gebracht wurden, um medizinische Behandlung zu bekommen, das Informieren von Pfarrmitgliedern aller Orthodoxen Kirchen hinsichtlich der aktuellen Lage in Palästina, die Förderung von Stipendien für Studenten aus Gaza, damit sie an amerikanischen Universitäten studieren können, und die Teilnahme an ökumenischen Initiativen für Gerechtigkeit und Frieden.

Die OCP verurteilt Gewalt von allen Seiten, einschließlich der Übeltaten von Hamas am 7. Oktober. Wir betonen, dass unschuldige Palästinenser verhältnismäßig schwer durch diesen Konflikt betroffen sind seit der Erschaffung des modernen Staates Israel.

Wie begann die OCP?

Die OCP war der Ansicht, dass es einer lauteren Fürsprache für unsere leidenden palästinensischen Brüder und Schwester innerhalb der Orthodoxen Kirche bedurfte. Die Meisten von uns sind antiochenisch-orthodox, und unsere Hierarchen, einschließlich des Metropoliten Philip, haben sich historisch immer direkt bei Präsidenten für die Not des palästinensischen Volkes eingesetzt.

Seitdem sich die Demografie der Antiochenisch-Orthodoxen Kirche deutlich verändert hat durch das Einströmen von Konvertiten mit verschiedenen Herkünften, wo sie früher arabisch war, waren wir der Meinung, es gebe eine Möglichkeit, mehr Aufmerksamkeit auf diese Sache zu schärfen sowie übliche Missverständnisse für Neuankömmlinge aufzuklären.

Des Weiteren hat die Orthodoxie eine lange Geschichte des aktiven Beistands für bedrückte und benachteiligte Menschen verschiedener religiösen und ethnischen Herkunft. Beispielsweise war Erzbischof Damaskinos von Griechenland das einzige Haupt einer europäischen Kirche, welches Hitlers Endlösung der Judenfrage verurteilte. Er stellte gefälschte Taufscheine an jüdische Menschen aus, damit sie nicht entdeckt würden, und ordnete Priester und Nonnen an, sie von den Nazis zu verstecken.

Als er mit der Hinrichtung durch die deutsche Führung bedroht wurde, entgegnete er mit einer kraftvollen Aussage, die über Jahrzehnte hinaus wiederhallte: „Unsere Führer werden gehängt, nicht erschossen. Bitte achten Sie auf unsere Traditionen.“ Bis heute wird er im Garten der Gerechten in Israels Gedenkstätte des Holocausts und des Heldenmuts, genannt Yah Vashem.

Wir hoffen, dass Beispiele wie diese uns aus unserer Wohlgefälligkeit rütteln und unsere Gemeinden dazu aufrufen werden, unseren ramponierten christlichen und muslimischen palästinensischen Brüdern und Schwestern zu helfen.

Wann sind Sie zum ersten Mal auf das Leid unserer palästinensischen Brüdern und Schwestern aufmerksam geworden?

Während viele Menschen sich des Leids der Palästinenser zunehmend bewusst geworden sind – was hauptsächlich an der Verbreitung schrecklicher Szenen in Gaza in sozialen Netzwerken liegt –, sind einige Mitglieder unserer Gruppe seit Jahrzehnten in dieser Sache beteiligt. Wir empfehlen jedem, der die Geschichte dieses Konflikts tiefer verstehen will, das Buch Der Hundertjährige Krieg um Palästina zu lesen.

Wie steht es um das Westjordanland?

Während die Öffentlichkeit sich der Untaten in Gaza bewusst ist, verschlechtert sich die Lage im Westjordanland zunehmend, sodass viele Palästinenser sich vor dem Bevorstehenden fürchten. Insgesamt kann man die Situation als verdeckte ethnische Säuberung bezeichnen, die unter anderem durch Gewalt seitens der Siedler, Zerstörung von Häuser, erzwungene Verschiebungen, Bewegungseinschränkungen und Landenteignung betrieben wird. Hier eine Auswahl an neuester Beispiele für Ihre Leser:

  • Diesen Sommer griffen israelische Siedler das letzte vollständig christliche Dorf Palästinas, Taybeh, und setzten die historische griechisch-orthodoxe Kirche zum Hl. Georg (Al-Khadr), Häuser und Olivenhaine in Brand.
  • Die Regierung Israels hat neulich ein umstrittenes Projekt genehmigt, durch das das Westjordanland von Ostjerusalem – beides palästinensische Gebiete – abgeschnitten würde. Dies würde das Westjordanland endgültig in zwei trennen, die Bewegungsfreiheit der Palästinenser für Besuche ihrer Angehörigen, Arbeit oder medizinische Betreuung einschränken und weist auf die zunehmend schwindenden und zersplitterten Kontrolle der Palästinenser über ihr historisches Land.
  • Seit Oktober 2023 hat Israel seine Unterwerfung des Westjordanlands durch weitere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Palästinenser mittels willkürlicher Gewalt an Kontrollpunkten, Überwachung und kollektive Bestrafung für Verbrechen, die von einzelnen Palästinensern begangen werden könnten, verschärft. Dies wird durch einer ungerechten Justiz verschlechtert, wodurch israelische Siedler dem israelischen Bürgergesetz, Palästinenser hingegen dem Militärrecht unterstehen, welches selten Zivil- und Menschenrechte beschützt.

Wie können unsere Leser mehr erfahren und Ihre Arbeit unterstützen?

Wir laden Leser dazu ein, mehr über Orthodoxe Christen für Palästina zu lernen und uns in den sozialen Netzwerken zu verfolgen. Zusätzlich ist unser Interview auf Orthodox Christian TV zu finden.

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