Die Lähmung der Seele wird durch Hass geheilt (Joh. 12,25)

Die Erde wird mit all ihrem Wissen, ihrer Kunst, Poesie, Malerei und Architektur in Feuer aufgehen. Aus der Asche werden allein die Seelen auferstehen – gute und böse, demütige und stolze, heilige und sündige.
Ehe die freudigen Ostertage noch nicht zu Ende sind, erinnert uns die Kirche erneut an die Lähmung unserer Seelen. Sie entspricht der körperlichen Lähmung. Wenn der Körper eines Menschen gelähmt ist, kann er kein erfülltes Leben mehr führen. Ihm wird sein eigenes Bett zum Sarg.
So ergeht es auch der Seele. Sie lebt im Sarg ihres Körpers und hat nicht die Möglichkeit, in der Freiheit zu leben, die unserem Geist gegeben ist. Der eitle, egoistische Geist, nachdem er sich vom Herzen gelöst hat, breitet sich aus, doch in der Außenwelt findet er nirgends Frieden. Die seelische Lähmung verblendet die Augen und Ohren des Menschen. Der Verstand ist zur Kartenwahrsagerin trügerischer Gedanken geworden. Der Egoismus hat den Menschen gesattelt und treibt ihn mit der Peitsche der Leidenschaften an und zwingt ihn, all seine Kraft für deren Befriedigung aufzuwenden.
Die Menschen haben ewige spirituelle Glückseligkeit gegen flüchtige Freuden eingetauscht und sehen darin den ganzen Sinn ihres Lebens. Der Mensch hat vergessen, dass sein Inneres viel wichtiger ist als sein Äußeres. Christus lebt in uns, und außerhalb von uns gibt es nur sich stets verändernde äußere Eindrücke. Er, der in uns ist, gibt uns Leben, und das Äußere nimmt es uns weg. Der Mensch hat vergessen, dass er das unsterbliche Bild und Gleichnis Gottes ist – ein strahlender Geist, ein reines, egoloses Bewusstsein, eine wahre Persönlichkeit, die ihre ewige und selige Existenz im ewigen und seligen Gott hat.
Die Lähmung der Seele kann nur durch die Rückkehr des Geistes in das Herz geheilt werden. Und dazu ist es zunächst notwendig, dem inneren Menschen Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn diese Aufmerksamkeit ungeteilt und stets auf Christus gerichtet ist, löst sich der Geist allmählich von seinen Bindungen und folglich von den Gedanken an sie. In uns gibt es nicht nur ein physisches, sondern auch ein geistiges Herz. Darin gibt es keine Gedanken, sondern nur den Frieden Gottes. In uns lebt das niedere „Ich“ oder Ego und das höhere „Ich“ oder der Geist. Durch ständiges Gebet beruhigt sich der Geist für eine Weile, beginnt dann aber wieder zu wandern und sich zu zerstreuen. Doch unser Geist kennt, genau wie der Geist Gottes, keine Eitelkeit und Angst. Nur unser innerer Egoist sorgt sich, erlebt, hasst, verurteilt und fürchtet.
Schimamönch Gregor (Bezkrowny) lehrt, dass die Seele, die aus dem von Gott geschaffenen Geist hervorgeht, die Sünden und Tugenden ihrer Eltern erbt. Und indem sie beginnt, die Eindrücke der Welt zu erfahren, entwickelt sie in sich einen egoistischen Geist, der zu einem mentalen „Ich“ wird, das an den Körper gebunden ist und zahlreiche Freuden und Leiden erfährt – das sogenannte irdische Leben. Dieses schnelllebige und veränderliche Bewusstsein wirkt in Träumen und stellt sich mithilfe des Geistes verschiedene Ereignisse vor. Es erfährt auch schmerzhafte Erfahrungen, die durch die starke Bindung an alles Weltliche verursacht werden. Genau über dieses eitle Seelenleben spricht Christus: „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; wer aber sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren“ (Johannes 12,25).
Solange wir im egoistischen und sündigen „Ich“ leben, müssen wir ständig Buße tun; solange wir im selbstbezogenen und gefallenen „Ich“ leben, wandeln wir noch immer auf dem Weg des Todes. Im höheren, egolosen „Ich“ gibt es keine Buße mehr, sondern nur vollkommene Einheit mit dem Sein. Ein Christ braucht kein irdisches Wissen anzuhäufen, das unseren Egoismus nur verstärkt. Es ist besser, Gnade mit Gnade zu vereinen, intellektuellen Frieden mit intellektuellem Frieden, heilige Stille mit heiliger Stille, damit Christus uns mit seinem strahlenden Licht umfängt.
Wir müssen nicht glauben, was unser Verstand denkt, und so erlangen wir die Weisheit des Wortes Christi, das in unserem Geist wohnt und uns still und demütig ermahnt und rettet.
Es ist gerade die Erkenntnis des menschlichen Geistes – des ewigen, unveränderlichen Abbilds Gottes–, das ständig im spirituellen Herzen – der Wohnstätte Christi – leuchtet, was uns für immer mit Christus vereint.
Eine solch gesegnete Verbindung erlangt derjenige, der sich sorgfältig vom egoistischen, sündigen Denken abwendet und sich dabei nicht schont. Übermäßiges, durch Bücher angesammeltes Wissen entfernt einen von der Erlösung nur und verwirrt den Geist mit endlosen Fragen an Gott. Vergisst man dies, ist man dazu verdammt, sein Leben lang auf der Suche nach dem einen oder anderen Vergnügen in den Müllhaufen der Welt zu wühlen. Ohne Ego hingegen gibt es auch keine Müllhaufen. Doch Bindung kann nicht nur von der linken Seite kommen, sondern auch auf der rechten, indem sie sich erfolgreich als Liebe tarnt. Deshalb spricht Christus diese grausamen Worte: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst hasst, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,26).
Ein Egoist kann niemanden lieben, er kann sich nur an ihn binden und seine Bindung Liebe nennen. Nur ein von Sünde und Selbstbezogenheit befreiter Geist kann lieben. Lieben mit der Energie selbstloser, aufopfernder Liebe, die er von Gott schöpft. Wie viele Erfindungen wurden von Menschen gemacht, wie viele Gesetze wurden entdeckt, wie viel Wissen wurde erlangt! Doch was nützt das alles, wenn die Menschheit den Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega, verloren hat und damit all ihre Errungenschaften zunichte gemacht wurden?
Die Erde wird mit all ihrem Wissen, ihrer Kunst, Poesie, Malerei und Architektur in Feuer aufgehen. Aus der Asche werden allein die Seelen auferstehen – gute und böse, demütige und stolze, heilige und sündige. Einige von ihnen werden das Königreich erben, das dem Menschen seit der Schöpfung der Welt bereitet wurde, andere werden ewige Qualen erleiden.
Und all unsere zivilisatorische Errungenschaften, militärische Erfolge und wissenschaftliche Fortschritte werden keine Bedeutung mehr haben. Lohnt es sich also, unser einziges, jetziges Leben dafür zu opfern?
Kollektiver Egoismus, der von Politikern und Journalisten manipuliert wird – all dies ist eine Manifestation von Symptomen der Lähmung, bloß auf globaler Ebene. Egoismus mit seinem unreinen, sündigen Denken erregt den Geist und entfernt ihn vom spirituellen Herzen. Er verleitet ihn dazu, jede Unwahrheit herbeizuschaffen und alles Böse zu begehen, was zur Trennung von Christus und zum Verlust der Erlösung führt. Unser kurzes irdisches Leben führt seine Wanderer zu einer zweier Türen – entweder zu der, hinter der das Licht der göttlichen Gnade leuchtet, oder zu der, hinter der sich die äußere Dunkelheit öffnet, die über dem Abgrund der Nichtexistenz schwebt. Die Wahl des richtigen Weges ist Wesen und Sinn unseres Lebens.
Deshalb heißt es: „Der Gerechte übe weiterhin Gerechtigkeit, und der Heilige sei weiterhin heilig“ (Offb 22,11).