Weihnachtsmärkte ohne Weihnachten?
Weihnachtsmarkt in Deutschland. Foto: Pixabay.com
Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart,
Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt,
ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt:
Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt!
Mit diesem Gedichtprolog von Friedrich Bröger wird in Nürnberg jedes Jahr der Christkindlesmarkt eröffnet. Es ist der wohl bekannteste von allen Weihnachtsmärkten in Deutschland. Und er steht stellvertretend für eine Tradition, die so fest wie kaum eine andere im kulturellen Jahreskalender etabliert ist.
Zwischen Ende November und Heiligabend verwandeln sich Marktplätze in allen Regionen des Landes in Kulissen aus Imbiss- und Handwerksbuden, Lichterketten und Glühweinduft. Der Weihnachtsmarkt gilt als Inbegriff vorweihnachtlicher Stimmung, als Ort der Geselligkeit und der ‚besinnlichen Zeit‘.
Aber nirgendwo wird die Verankerung dieses Brauchtums im christlichen Jahreskreis deutlicher hervorgehoben als in Nürnberg, wo das ‚Christkind‘ im eben zitierten Gedichtprolog verkündet:
In jedem Jahr, vier Wochen vor der Zeit,
da man den Christbaum schmückt und sich aufs Feiern freut,
ersteht auf diesem Platz, der Ahn hat’s schon gekannt,
was Ihr hier seht, Christkindlesmarkt genannt.
Ob nun Christkindlesmarkt, Weihnachtsmarkt oder Adventsmarkt – all diese Namen, die von Ort zu Ort variieren, bringen eines zum Ausdruck: die Weihnachtsmärkte sind aus kirchlichen und vorindustriellen Zusammenhängen hervorgegangen. Sie standen im Kontext der Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi. Der Markt diente dazu, sich für Weihnachten ‚einzudecken‘ – materiell, aber auch geistig.
Davon ist heute in vielen Fällen nur noch wenig zu spüren: Zwar finden sich vereinzelt Krippenfiguren, Engel oder christlich konnotierte Motive, doch sie wirken häufig wie bloße Dekoration ohne inhaltliche Verbindlichkeit. Das Christliche erscheint weniger als selbstverständlicher Bezugspunkt, sondern als optionales Beiwerk, das ebenso gut fehlen könnte. Besonders deutlich zeigt sich dieser Wandel in der Sprache. Seit Jahren gibt es wiederkehrende Debatten darüber, Weihnachtsmärkte in „Wintermärkte“, „Lichterfeste“ oder ähnlich nichtsaussagende Veranstaltungen umzubenennen. Auch in Nürnberg gab es solche Forderungen, die allerdings von der Stadt abgelehnt wurden.
In vielen Fällen geschieht dies angeblich aus praktischen oder marketingbezogenen Gründen – etwa, weil Märkte über den 24. Dezember hinaus geöffnet sind oder ein modernes Image gepflegt werden soll. Dabei ist doch der 25. Dezember nicht das Ende, sondern der Beginn der Weihnachtszeit, deren Hochfeste mit dem Dreikönigstag noch bis in den Januar hineinreichen. Und ein modernes Image oder ein Betreiberwechsel könnte ja auch als Herausforderung genommen werden, den Kerngedanken des Festes mit anderen Worten zum Ausdruck zu bringen. Dass darüber nicht nachgedacht wird, bringt durchaus eine tiefe kulturelle Selbstverunsicherung zum Ausdruck. Dabei lebt das Brauchtum gerade von dieser religiös-kulturellen Erinnerung, wie das Nürnberger Christkind so schön zum Ausdruck bringt:
Dies Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht,
so flüchtig, wie es scheint, in seiner kurzen Pracht,
ist doch von Ewigkeit. Mein Markt bleibt immer jung,
solang’ es Nürnberg gibt und die Erinnerung.
Es ist ein fundamentaler Irrtum unserer Zeit, den christlichen Kern unseres Brauchtums und unserer Werte ignorieren zu können, ohne dass Brauchtum und Werte dabei selbst verflachen und letztendlich nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Stattdessen werden unsere religiösen Wurzeln zunehmend privatisiert und aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Dabei sind die Weihnachtsmärkte ein schönes Zeugnis dafür, wie unser christliches Erbe den öffentlichen Raum prägt und, ja, in gewisser Weise heiligt, ohne dabei missionarisch oder aufdringlich zu sein. Um es mit dem Nürnberger Christkind zu sagen:
Denn alt und jung zugleich ist Nürnbergs Angesicht,
das viele Züge trägt. Ihr zählt sie alle nicht!
Da ist der edle Platz. Doch ihm sind zugesellt
Hochhäuser dieses Tags, Fabriken dieser Welt.
Es geht nicht darum, dass Weihnachtsmärkte zu liturgischen Räumen werden. Doch eine selbstbewusste Kultur müsste in der Lage sein, ihre eigenen Ursprünge sichtbar zu halten, ohne sich dafür zu entschuldigen. Krippen, christliche Lieder oder klare Verweise auf Advent und Evangelium sind noch keine Provokation, sondern Ausdruck historischer Ehrlichkeit. Ein Bewusstsein dafür, wer wir sind und was wir uns für unser Zusammenleben wünschen. Hören wir auf das Christkind:
Die neue Stadt im Grün. Und doch bleibt’s alle Zeit,
Ihr Herrn und Frau’n: das Nürnberg, das Ihr seid.
Am Saum des Jahres steht nun bald der Tag,
an dem man selbst sich wünschen und andern schenken mag.
Heute kann Weihnachten oft nur noch überleben, wenn es entkernt wird. Übrig bleibt ein säkulares Fest der Gemütlichkeit und des Konsums. Der Weihnachtsmarkt passt sich vielerorts dieser Logik an: Er ist dann nur noch ein gastronomisches Angebot, ein Treffpunkt, ein Wirtschaftsfaktor, aber ohne tieferen Hintergrund. Die zentrale Botschaft des Evangeliums, die auch das Nürnberger Christkind verkündet, gerät dadurch in Vergessenheit:
Doch leuchtet der Markt im Licht weit und breit,
Schmuck, Kugeln und selige Weihnachtszeit,
dann vergesst nicht, Ihr Herrn und Frau’n, und bedenkt,
wer alles schon hat, der braucht nichts geschenkt.Die Kinder der Welt und die armen Leut’,
die wissen am besten, was Schenken bedeut’.
Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart,
seid es heut’ wieder, freut Euch in ihrer Art.
Nürnberger Christkindlesmarkt, Vogelperspektive (Quelle: Wikimedia Commons)
Geistliche Musik, christliche Symbolik oder Gebete (etwa zur Einweihung des Marktes, angesichts drohender Gewaltdelikte heute mindestens so angebracht wie Schutzpoller!), die diese Botschaft hervorheben könnten, gelten schnell als potenziell ausgrenzend. Man fürchtet Konflikte, Anstoß oder den Vorwurf mangelnder Neutralität. Das Ergebnis ist eine Form vorauseilender Selbstzensur: Die eigene kulturelle Tradition wird nicht verteidigt, sondern vorsorglich entschärft – selbst dort, wo sie historisch begründend war. Dabei bedeutet die Betonung des Eigenen doch nicht den Ausschluss des Fremden. Nein, erst wenn wir hören und erinnern, was uns das Christkind sagt, können wir den Reichtum unserer Kultur mit allen teilen, die da kommen:
Das Christkind lädt zu seinem Markte ein,
und wer da kommt, der soll willkommen sein.
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