Wie man Gott ähnlich wird: Über das Gebot der Feindesliebe

Die Liebe zu den Feinden ist das Ergebnis des Kampfes gegen den Stolz. Foto: UOJ

„Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, so tut ihnen auch. Und wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? ... Vielmehr liebt eure Feinde, seid barmherzig und leiht aus, ohne etwas dafür zu erwarten; dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn er ist gütig auch zu den Undankbaren und Bösen. Seid also barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist" (Lk 6,31-36).

Das Gebot des Erlösers, dass wir ebenso barmherzig sein sollen wie unser himmlischer Vater, bringt uns manchmal in eine Sackgasse. Ist das überhaupt möglich? Aber ich glaube nicht, dass der Herr uns Aufgaben stellen würde, von denen er weiß, dass wir ihnen nicht gewachsen sind. Angesichts des Seelenzustands der meisten Menschen ist es sinnlos, von uns emotionale Sympathie für Mörder und Unmenschen zu verlangen. Hier geht es offensichtlich um etwas anderes.

Liebe als Willensanstrengung

Wahrscheinlich geht es um die Anstrengung unseres Willens gegenüber solchen Menschen. Diese Anstrengung muss sich vor allem darin äußern, dass wir unseren Feinden kein Leid und keine Rache wünschen. Wir müssen lernen, uns nicht über ihr Leid zu freuen, wenn es dazu kommt. Und wenn nötig, müssen wir denen, die uns Böses wollen, praktische Hilfe leisten. „Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen“ (Röm 12,20).

Der nächste Punkt ist das Gebet für den Feind. Ja, wir empfinden vielleicht keine Liebe oder gar Mitgefühl für ihn. Aber wir können uns mit Willenskraft bemühen, Gott zu bitten, ihm Reue und eine Veränderung zum Besseren zu schenken. Es liegt in unserer Macht, auf Flüche und Beleidigungen nicht mit dem Gleichen zu antworten und keine Rache zu wollen. Das wird wahrscheinlich nicht sofort gelingen, aber denken wir an die Worte des Erlösers: „Bittet, so wird euch gegeben“ (Lk 11,9).

Für den Anfang ist es besser, sich überhaupt an eine wohlwollende Haltung gegenüber allen Menschen zu gewöhnen.

Üben Sie sich in ständiger Demut: Geben Sie Ihren Platz im Bus oder in der Bahn frei, vergeben Sie kleine Kränkungen, reagieren Sie nicht auf Beleidigungen, stellen Sie die Interessen anderer über Ihre eigenen. Versuchen Sie, abwertende Worte aus Ihrem Wortschatz zu streichen und über niemanden etwas Verurteilendes zu sagen.

Den Feind als kranken Menschen sehen

Zuallererst muss sich in unserer Seele die Tugend festigen, niemandem Böses zu wollen, selbst dem schlimmsten Schurken nicht. Das ist der erste Schritt zur Liebe. Um diesen Schritt gesichert zu haben, muss man versuchen, eine Rechtfertigung für den Feind zu finden. Ich meine damit nicht seine Taten, sondern den Zustand, in dem er sich befindet. Sehen Sie in ihm vor allem einen geistig kranken Menschen, der von einer teuflischen Kraft besessen ist, die sich in seinen Ideen und Taten manifestiert.

Ein Mensch wird nicht aus einem Übermaß an Glück böse, sondern aus innerem Schmerz und Angst.

Dieses Verständnis kann Hass durch Mitleid und Wut durch Mitgefühl ersetzen. Dabei bedeutet es keineswegs, dass man seinem Feind erlaubt, in sein Leben einzudringen. Man kann sich sowohl physisch als auch emotional von ihm distanzieren. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern: Der Hass in unserem Herzen schadet in erster Linie uns selbst. Das ist unser Problem. Und Vergebung ist die einzige Möglichkeit, sich von dieser schweren Last zu befreien.

Was sagen die heiligen Väter dazu?

Die patristische Tradition bietet uns reichhaltiges Material zu diesem Thema.

Die Liebe zu den Feinden ist nach Ansicht der Heiligen Väter kein emotionaler Impuls, sondern das Ergebnis des Kampfes gegen den eigenen Stolz, der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und des ständigen, zwanghaften Gebets für den Beleidiger.

Darauf sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten. Und dann, so Gott will, werden wir uns allmählich der Erfüllung jenes großen Gebots nähern, das wir im Evangelium gehört haben: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

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