Mein Weg zu Christus

Mein Weg zu Christus. Foto: UOJ

In unserer Redaktion ging ein Brief ein, in dem ein Mensch seine Erfahrung des Weges zur Orthodoxie teilte. Er berichtet, was diesem Schritt vorausging, wie seine muslimischen Verwandten reagierten und was er in Christus gefunden hat:

Mein Weg zu Christus

Ich erzähle hiermit meine Odyssee – wie ich durch viele Schicksalsschläge, eigene Fehler und eine totale Umkehr Jesus Christus gefunden habe. Oder hat er mich gerufen? Eine Frage, die ich mir bis heute stelle.

Unter dem Halbmond aufgewachsen

Ich bin als Kind einer türkisch-kurdischen Familie in Schwelm geboren und aufgewachsen – einer Familie, die sunnitisch-muslimisch geprägt ist. Ich wuchs als Einzelkind auf und war früh in den Glauben meiner Familie, den Islam, eingebunden. Zwar waren meine Mutter und meine nächsten Verwandten nie streng religiöse Menschen, doch der Glaube war für sie stets ein Teil des Lebens.

Ich selbst war ein Kind, das Religion damals nie für besonders wichtig hielt. Mein Kopf war meist woanders – oft in meiner Fantasie. Dennoch hatte ich immer eine gewisse Ehrfurcht vor „Allah“. Es war für mich ein absolutes No-Go, ihn zu beleidigen oder seinen Namen zu missbrauchen. Auch der Gedanke, je gegen seine Gebote zu verstoßen oder ihn selbst infrage zu stellen, war für mich unvorstellbar und machte mir allein beim Nachdenken darüber Angst. Es war die Furcht vor Gottes Zorn, die mich in meine Schranken wies.

Mit neun Jahren zog ich zu meinem Vater nach Köln – von einer ruhigen Kleinstadt mitten in einen sozialen Brennpunkt. Schon in Schwelm war ich eines der wenigen ausländischen Kinder, wurde ausgegrenzt und fand kaum Anschluss. Auch diejenigen mit demselben Migrationshintergrund hielten mich für „zu eigenartig“. In Köln wurde es nur schlimmer. In einem Problemviertel, in dem politische Themen wie der PKK-Konflikt und ethnischer Hass bereits unter Kindern verbreitet wurden, fand ich erneut keinen Anschluss.

Ein weiterer Grund war die Ablehnung durch die eigene Familie: Ich konnte weder Türkisch noch Kurdisch, hielt mich nicht an die gesellschaftlichen Etiketten der Erwachsenen und interessierte mich für Dinge, die als „zu deutsch“ galten – als wäre „deutsch“ gleichbedeutend mit „schlecht“.

Das schwarze Schaf der Familie

Mit etwa zwölf, dreizehn Jahren begann ein Prozess, der mein Weltbild auf den Kopf stellte – und mein Schicksal für immer verändern sollte. Wie es in diesem Alter so ist, fängt man an, sich selbst zu hinterfragen. Meine Frage lautete: Wer bin ich?

Ich sah in meinen Mitmenschen nur Ablehnung und Hass. Das führte mich zu dem Schluss: „Keiner will mich verstehen, jeder hasst mich.“ Ich erfuhr immer wieder Unrecht. Mir wurden Taten angehängt, die ich nie begangen hatte. Wenn ich widersprach, erlebte ich physische und psychische Gewalt. Es ging so weit, dass ich den Kontakt zu meiner Mutter und ihrer Familie abbrach. Auch zu meiner väterlichen Seite distanzierte ich mich zunehmend.

Ich wurde zum Paradebeispiel dafür, wie man nicht sein sollte – der klassische Spruch lautete: „Sei bloß nicht wie dein Cousin…“. Viele Menschen – ob gläubig oder nicht – lebten nach weltlichen Regeln, nicht nach göttlichen. Früher war es mir wichtig, den Menschen zu gefallen. Doch ich musste bitter lernen, dass niemand auf der Welt mit mir zufrieden war, egal, ob ich den Normen folgte oder nicht.

Bruch mit der Familie

Ich suchte den Sinn des Lebens außerhalb des Glaubens. Schnell begann ich, den Islam zu hassen – weil ich meine Familie hasste. Ich setzte den Glauben gleich mit meiner Familie. Das Judentum lehnte ich kategorisch ab, da ich durch Familie und Internet ein antisemitisches Bild übernommen hatte. Und das Christentum? Ich wusste kaum etwas darüber, nahm Jesus Christus nicht ernst, machte Späße über ihn und beleidigte Menschen, die ihm folgten.

Zwar faszinierte mich die Atmosphäre in Kirchen – wie Menschen dort beteten und Trost fanden –, doch mein Zynismus gewann immer die Oberhand. Stattdessen suchte ich Halt in weltlichen Ideologien, besonders im Kommunismus. Er versprach Gleichheit, Gerechtigkeit und die Auflösung ungerechter Systeme – eine rebellische Haltung, die gegen die Werte meiner Familie und der Gesellschaft stand.

Da der Kommunismus Hand in Hand mit dem Atheismus ging, war das für mich ein bewusster Affront gegen meine Familie. Auf der Suche nach Zugehörigkeit lernte ich neue Menschen kennen – doch nicht jeder meinte es gut mit mir. Mit 15, 16 Jahren geriet ich in die Drogenwelt, zunächst nur Cannabis, aber bald auch in kriminelle Kreise. In der Abhängigkeit gefangen, betäubte ich eine innere Leere. Doch wie ein Patient, der Schmerzen mit Narkose unterdrückt, bekämpfte ich nur das Symptom, nicht die Ursache – meine Depression.

„Der philosophische Selbstmord heißt für mich: der Glaube, der die Vernunft aufhebt, die das Absurde enthüllt hat.“

(Albert Camus, Mythos des Sisyphos)

2017 begann eine kurze Phase, in der ich mich für Jesus Christus interessierte. Auslöser war das Buch Mythos des Sisyphus von Albert Camus – einem Autor, der Religionen ablehnte und den Glauben an Gott als „philosophischen Selbstmord“ bezeichnete. Doch gerade diese Worte regten mich zum Nachdenken an: Wo liegen die Grenzen meiner Erkenntnis – und kann ich sie überschreiten?

Ich wollte Jesus Christus jenseits der medialen Klischees kennenlernen, doch das Alte Testament verschreckte mich zunächst, weil ich es nicht verstand. Durch die Philosophie begann ich, am Atheismus zu zweifeln, und wurde Agnostiker: Wenn der Mensch nicht wissen kann, was jenseits der physischen Welt liegt – wer sagt dann, dass Gott nicht existiert?

Im selben Jahr folgten weitere Schicksalsschläge: Streit mit Familie und Freunden, das Scheitern meines Traumberufs. Ich fiel in tiefe Depression, wurde von Suizidgedanken gequält, betäubte mich mit Alkohol und Cannabis, beging Straftaten. Nur der Stoizismus und der Absurdismus hielten mich am Leben – sie gaben mir einen winzigen Hoffnungsschimmer.

„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken!“

(Psalm 139,23 – Elberfelder Bibel)

Im Jahr 2024 lebte ich in meiner eigenen Wohnung – allein mit meinen Gedanken. Trotz Krisen und gesundheitlicher Probleme schaffte ich es, clean zu werden. Ich hörte 2023 mit Drogen auf, begann regelmäßig Sport zu treiben und arbeitete therapeutisch an mir selbst. Doch die Depression, Paranoia und Unsicherheit blieben.

Zwei Todesfälle erschütterten mich: Ein enger Freund starb vermutlich an Drogen, und ein Familienverwandter, den ich zu Unrecht verstoßen hatte, verstarb, kurz bevor ich ihn am Sterbebett besuchen wollte. Ich konnte mich nicht verabschieden.

Diese Ereignisse lösten in mir den Wunsch nach Versöhnung aus. Ich begann still und heimlich zu beten – fragte Gott, ob er existiert, und bat ihn um ein Zeichen. Ich besuchte erstmals einen Gottesdienst im Kölner Dom und später einen evangelischen Trauergottesdienst. Im Dom spürte ich etwas, das ich nicht beschreiben konnte – Freude, Trost, Neugier. Es war nicht die Architektur oder der Gesang, sondern etwas Tieferes.

Auch in der Moschee, die ich zum 40. Todestag meines Verwandten besuchte, bat ich Gott um seine Anwesenheit – doch das Gefühl blieb fern. Selbst im Hindutempel, wo ich mich mit den Anhängern Krishnas über Askese und Hingabe unterhielt, spürte ich nichts Vergleichbares.

„Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“

(Johannes 1,5 – Elberfelder Bibel)

Durch soziale Medien wurde ich auf die Orthodoxie aufmerksam. Ich wusste zwar, dass es neben katholischen und evangelischen Kirchen auch orthodoxe gibt, hatte aber keinen Bezug dazu. Also informierte ich mich über die Orthodoxe Kirche – und suchte schließlich die Russisch-Orthodoxe Kirche der Heiligen Konstantin und Helena auf.

Von außen schlicht, war sie innen erfüllt von Ikonen, Kerzen und einer wunderschönen Ikonostase. Ich fiel mit meinem südländischen Aussehen unter den russisch-ukrainischen Gläubigen auf, wurde anfangs misstrauisch beäugt. Doch während der Liturgie verspürte ich dieselbe innere Regung wie im Kölner Dom – nur stärker.

Beim zweiten Besuch, während des Totengedenkens, übermannten mich widersprüchliche Gefühle: Freude, Trauer, Reue, Hoffnung – und vor allem Liebe. Ich fühlte mich, als würde mich jemand umarmen, obwohl niemand hinter mir stand. Ich, der immer rational und kalt gewesen war, konnte dieses Erlebnis nicht leugnen. Es war real.

„Du bist nicht nur tot für uns – dich hat es nie gegeben…“

(Zitat eines Verwandten)

Ich begann, mich mit anderen Gemeindemitgliedern zu unterhalten, stellte Fragen, las Literatur und begann, das Christentum zu „studieren“. Ich betete regelmäßig und versuchte, christliche Lehren in meinen Alltag zu integrieren – ich machte mich selbst zum Experiment des Glaubens.

Als mein Umfeld davon erfuhr, reagierten viele mit Ablehnung. Einige lachten, andere verurteilten mich offen. Besonders meine mütterliche Familie war entsetzt: Wie könne ich als Nachfahre eines türkischen Urgroßvaters, der im Unabhängigkeitskrieg gegen Griechen und Armenier kämpfte, „den Glauben des Feindes“ annehmen? Einer sagte sogar, ich würde nicht mehr existieren.

Seit dem Tod meines Freundes hatte ich immer wieder Albträume von dunklen Gestalten. Als ich mich Christus zuwandte, wurden sie schlimmer. Ich spürte Angst und eine düstere Präsenz in meiner Wohnung. Eines Abends kniete ich vor einem aufgemalten Kreuz auf meinem Whiteboard, zählte meine Sünden auf und bat Jesus Christus um Vergebung und Hilfe. Ich spürte Angst – doch dann kam Frieden. Von diesem Moment an verschwanden die Albträume.

In der Kirche sagte man mir, es sei der letzte Versuch des Teufels, mich vom Weg Christi abzuhalten. Ich glaube das – denn ich suchte Gott, und Gott offenbarte sich mir durch Jesus Christus.

„…nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“

(Galater 2,20 – Elberfelder Bibel)

Meine Depression verschwand endgültig. Die suizidalen Gedanken waren fort. Ich begann, die Welt mit Liebe zu sehen – mich selbst zu lieben und sogar jene, die sich von mir abwandten. Durch Gottes Hilfe lernte ich aus den Fehlern meiner Familie und aus meinen eigenen.

Ich wurde zur Inspiration für andere – Menschen, die Drogen hinter sich lassen wollten, die ihr Leben verändern oder wieder Hoffnung finden wollten. Selbst in meiner Familie begann langsam Versöhnung. Wo früher Hass war, begegnet man mir nun mit Neugier und, manchmal, mit vorsichtiger Zuneigung.

Ich bin noch Katechumene, kein perfekter Christ – aber jeder Heilige war einst ein Sünder, und jeder Heilige wurde durch unseren Herrn geheiligt. Wo Camus sagte, dass jenseits menschlichen Verstehens keine Erkenntnis möglich sei, sehe ich in den Heiligen unserer Kirche das Licht Gottes, das aus der Metaphysik auf uns herabstrahlt.

Ich bin gespannt, welchen Weg der Herr noch für mich vorbereitet hat.

 

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