Die Gemeinde des Heiligen Isidor von Rostov und Brandenburg

Screenshot von der Website der Gemeinde des Heiligen Isidor von Rostov und Brandenburg.

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Brüder und Schwestern, wir präsentieren Ihnen die erste Veröffentlichung unserer neuen Rubrik „Unsere Gemeinde“ auf der UOJ. In dieser Rubrik erzählen unsere Journalisten oder die Gemeindemitglieder selbst über das Leben, die Geschichte und die Besonderheiten ihrer orthodoxen Gemeinde. Auch Sie können uns über Ihre Gemeinde berichten – senden Sie uns Ihre Geschichte an die auf unserer Website angegebene E-Mail-Adresse.

Die Gemeinde des Heiligen Isidor von Rostov und Brandenburg - Vergangenheit und Gegenwart

Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus. (Kol. 3, 11)

Die Gemeinde des Hl. Isidor von Rostov und Brandenburg wurde am 27. Mai 2002 (dem Gedenktag des Heiligen Isidor)  mit dem Segen Seiner Eminenz Vladyka Feofan, seligen Angedenkens, gegründet. Hier werden sämtliche Gebete und Gottesdienste ausschließlich in deutscher Sprache abgehalten. Zum Gemeindevorsteher wurde Erzpriester Michail Rahr bestellt, mit dem die Gemeinschaft der deutschsprachigen Christen, die sich seinerzeit in der Christi-Auferstehungskathedrale zu Berlin zusammengefunden hatten, gut bekannt und vertraut war. Diese Funktion als Gemeindepriester sollte er, so die Anweisung von Vladyka Feofan, so lange ausüben, bis die Gemeinde einen eigenen, ständig einsatzbereiten Priester haben würde. Diese Aufgabe erfüllt Vater Michail bis heute treu und gewissenhaft.

Im darauffolgenden Jahr fand die Gemeinde dann durch eine Reihe von glücklichen Umständen und Begegnungen eine Kapelle in Berlin Lankwitz im damaligen katholischen Kloster der Christkönigschwestern. Sie wurde früher von einer Unierten-Gemeinde genutzt und hatte seit vierzig Jahren des Leerstands sozusagen darauf gewartet, wieder von einer christlichen Gemeinschaft belebt zu werden. Sie ist mit einer sehr einfachen, aber rührend gestalteten Ikonostase ausgestattet und eignete sich wunderbar für die nunmehr kanonischen Orthodoxen Gottesdienste, die fast zwanzig Jahre lang nur einmal im Monat stattfanden und damals eher spärlich besucht waren.

In den ersten Jahren des Bestehens war die noch sehr kleine Gemeinde mit vielen inneren Anfechtungen und Kämpfen konfrontiert, die das Gemeindeleben ernsthaft gefährdeten und den gesamten Betrieb fast zum Erliegen brachten. Doch davon soll hier nicht die Rede sein, die Schwierigkeiten wurden mit Hilfe von oben letztendlich überwunden und bescherten den Gläubigen eine Menge von Erfahrungen und Erkenntnissen, die diese im weiteren Bestehen ihrer Gemeinschaft als sehr hilfreich empfanden.

Zur Blüte und einer gewissen Reifung dienten der Gemeinde paradoxerweise die Coronajahre, denn es kamen ziemlich unvermittelt mehr und mehr – vor allem junge – Leute, denen man deutlich anmerken konnte, dass sie in den dortigen Gottesdiensten einen Trost und Halt fanden, der ihnen in anderen kirchlichen oder gesellschaftlichen Gemeinschaften offenbar vorenthalten geblieben war. Ein glücklicher Umstand hierfür war außer der Verwendung der deutschen Sprache, dass man dank des bereitwilligen Entgegenkommens von Erzpriester Evgeny Murzin eine zweite monatliche Liturgie anbieten konnte. Die Gemeinde wurde nun von zwei Priestern gut betreut.

Die Suche nach Trost und geistlicher Geborgenheit bewog die Gemeindeglieder darüber hinaus auch dazu, nach Möglichkeiten zu suchen, gemeinsame Gottesdienste bzw. Gebete ohne priesterliche Führung zu erleben, denn auch zwei Liturgien im Monat waren für das Bedürfnis nach geistlicher Nahrung nicht mehr genug. So wurde im Jahr 2021 das Format des Jesusgebetes eingeführt. Es ist hiermit das in Gemeinschaft ausgeführte Herzensgebet gemeint, so wie einige der Gemeindeglieder es um die Jahrtausendwende im Russisch-Griechischen Monastery of St. John the Baptist unter der geistlichen Führung Vater Sophrony Sacharovs kennen gelernt hatten. (Die Rede ist von dem 2019 kanonisierten St. Sophrony of Essex). Den Segen hierfür empfing die Gemeinde vom jetzigen Abt des Klosters, dem Archimandriten Petros, danach auch von Vater Michail. An dieser Gebetspraxis kann man in der kleinen Kapelle in Lankwitz in der Regel zweimal im Monat teilnehmen.

Mit dem Jahr 2023 ist eine Zäsur in der Gemeinde des Heiligen Isidor eingetreten: Es herrscht große Freude darüber, dass Priester Konstantin Anikin aus Halle all die Gottesdienste zelebrieren kann, die bis dato trotz des Engagements von Vater Michail und Vater Evgeny nicht geboten werden konnten, da beide Priester in erster Linie ihre Stammgemeinde in Weimar bzw. in Berlin Marzahn versorgen müssen. Dies bedeutet, dass mit allen drei Priestern abwechselnd an allen Wochenenden an Liturgien z. T. mit vorhergehenden Vespern bzw. Jesusgebeten teilgenommen werden kann. Darüber hinaus können nun auch die Hochfeste gefeiert werden, die die Gläubigen der Gemeinde jahrzehntelang in anderen Orthodoxen Kirchen erlebt haben, aber eben immer in einer fremden Sprache. In diesem Jahr 2024 wurde erstmalig das Orthodoxe Weihnachtsfest in Lankwitz gefeiert, und auch fast alle Gottesdienste der Heiligen Woche (sowie die Osternacht zum dritten Mal) konnten zum ersten Mal angeboten werden – beides waren große Ereignisse für die Gemeinde.

Diese mehr als erfreuliche Entwicklung ist zweifellos in erster Linie der Hilfe und dem Beistand unseres Herrn Jesus Christus zu verdanken; auf menschlicher Ebene aber einem Kraftakt von Seiten einiger weniger Menschen, die mit Glauben und viel Opferbereitschaft immer weiter dafür arbeiten, dass diese Entwicklung reiche Früchte bringen und das bisher Erreichte von Dauer und Bestand sein mögen.

Das äußere Erscheinungsbild des Gebetsortes der orthodoxen Gemeinde von der Straße aus.

Den einen oder anderen mag die Frage interessieren, warum einige Gläubige mit ihrem Priester damals eine rein deutschsprachige Orthodoxe Gemeinde ins Leben riefen. Die Antwort liegt zunächst auf der Hand – natürlich deshalb, weil die Christen, die bereits auf die eine oder andere Art den Weg in die „exotische“ Orthodoxie gefunden hatten, in der Regel weder Russisch/Kirchenslawisch noch eine der anderen in der kanonischen Kirche verwendeten Sprachen beherrschen. Das Wort Gottes und die Herrlichkeit einer Orthodoxen Liturgie sollte man doch aber ohne Abstriche in sich aufnehmen können. 

So reifte auch der Gedanke heran, dass es gut wäre, eine selbständig deutschsprachige (oder später vielleicht deutsche) Orthodoxie aus der Taufe zu heben. Dieser Gedanke drängte sich der kleinen Gemeinschaft auch deshalb auf, weil die hiesigen Landeskirchen eine solche – sagen wir – fremdartige Entwicklung nahmen, dass mit dem Erscheinen vieler deutscher Christen in der Orthodoxen Kirche zu rechnen sein würde, die sich mit dem postmodernen Gottes- und Menschenbild nicht mehr einverstanden erklären konnten und können. Das sprunghaft angestiegene Interesse am deutschsprachigen Orthodoxen Gottesdienst gab denen recht, die etwas Derartiges erwartet hatten. Man kann eine rasante gesellschaftliche und (kirchen)politische Entwicklung in diesem Land beobachten, die immer mehr Christen entnervt und verwirrt zurücklässt. Auch für diese Menschen will die Isidor-Gemeinde und wollen sicher auch andere Gemeinden, in denen die deutsche Sprache eine größere Rolle spielt, die Türen öffnen; denn der schönste Gottesdienst, in dem man jedoch die Sprache nicht versteht, hat etwas von verlorener Liebesmüh. Für die Gemeinde bedeutet das, um konkret zu werden, dass Vater Konstantin, der seit fast einem Jahr u. a. die katechetischen Unterweisungen für die Erwachsenen vorbereitet und leistet, sich der Taufanwärter kaum noch erwehren kann.

Nie, nie, niemals lasst euch von irgendwem sagen, dass man, um orthodox zu sein, östlich sein muss. Der Westen war für tausend Jahre vollständig orthodox, und seine ehrwürdige Liturgie ist viel älter als jede seiner Häresien. (Hl. Johannes (Maximowitsch), Bischof der ROCOR von Shanghai, Paris und San Francisco)

Der Gedanke einer deutschsprachigen Orthodoxie bedarf aber noch einer Erweiterung: Die Gemeinde gehört jurisdiktionell zur Russischen Kirche und wird hoffentlich dort auch immer bleiben können, solange sie nicht wenigstens autonom ist (und ob das je geschehen wird, weiß niemand). Die Gemeindeglieder haben - das soll ausdrücklich gesagt sein - viel Liebe und dankbare Hochachtung für die Russische Mutterkirche. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie bis in alle Kleinigkeiten die russischen Sitten und Gebräuche, die russische Lebensart kopieren oder nachahmen wollen. Die dort weit verbreitete Mentalität, nach der nur die Russische Kirche die wahre Orthodoxie verkörpert, liegt ihnen fern, da den Deutschen jegliche Art von nationaler Überhebung fernliegt; im Übrigen zählen inzwischen zu den Besuchern der Lankwitzer Gemeinde Menschen verschiedenster Ethnien. Ihr Anliegen ist es, eine sich eher westeuropäisch prägende Glaubenswelt zu offenbaren - und sie betrachten Manches, was in der Russischen Kirche gang und gäbe ist (z. B. das äußere Erscheinungsbild der Frauen, das dogmatische Festhalten am Alten Kalender) ein wenig differenzierter und auch mit einem gewissen Abstand. Dabei ist ihr Vorbild die offene und ohne nationale Profilierung funktionierende Orthodoxie, die man in dem von St. Sophrony of Essex gegründeten Kloster (s.o.) beobachten kann. Denn man trifft bei den dortigen Mönchen und Nonnen auf so gut wie alle europäischen Nationalitäten und teilweise auch auf jene anderer Kontinente. Jeder Gläubige, der dort verweilt, hat ein erhellendes Beispiel vor Augen, was es heißen könnte, dass „alles und in allen Christus ist“. Die Isidor-Gemeinde möchte ihren Teil dazu beitragen, dass dies in der Orthodoxie wahr werden möge.

Als er herabfahrend die Sprachen verwirrte, schied die Völker der Höchste. Da Er die feurigen Zungen verteilte, berief Er alle zur Einheit. Einstimmig verherrlichen wir den Heiligen Geist (Kondakion des Heiligen Pfingstfestes)

(с)Katharina Liepelt

 

 

 

 

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